KHR dpa Interview
Rummenigge: Wir sind "von der Muse des Erfolges geküsst"
Von dpa 22. September 2020 - 07:04 Uhr
Seit 2002 ist Karl-Heinz Rummenigge Bayern-Chef. In 15 Monaten ist Schluss. Zum 65. Geburtstag spricht er über seine finale Agenda in der Corona-Krise, Nachfolger Oliver Kahn, Triple-Coach Flick und auch die Position, die er als Boss im Gehaltsranking einnimmt.
[Blocked Image: https://www-stuttgarter--zeitung-de.cdn.ampproject.org/i/s/www.stuttgarter-zeitung.de/media.media.1cb40d25-3068-45cc-b56b-aab412f5ce68.original1024.jpg]Wird am 25. September 65 Jahre alt: Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der Bayern München AG. Foto: Alexander Hassenstein/BONGARTS/GETTY IMAGES/POOL/dpaMünchen - Karl-Heinz Rummenigge biegt als Chef des FC Bayern München auf die persönliche Zielgerade ein. Am 25. September, nach dem Spiel um den europäischen Supercup gegen den FC Sevilla, wird der Vorstandsvorsitzende des deutschen Fußball-Rekordmeisters 65.
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Mit 66 Jahren will er "den Staffelstab" dann an Ex-Nationaltorhüter Oliver Kahn (51) weiterreichen. Die Deadline 31. Dezember 2021 ist für ihn in Stein gemeißelt. "Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich für unersetzlich halten", sagt Rummenigge im Interview der Deutschen Presse-Agentur, in dem er auch über seine Pläne für die letzten 15 Monate spricht. Die Agenda beinhaltet "insbesondere drei Dinge".
Welche Bedeutung hat die Zahl 65 für Sie? Antwort
Karl-Heinz Rummenigge: Früher ist man mit 65 in Rente gegangen. Jetzt wird man einfach ein Jahr älter. Ich mache kein großes Aufheben um diesen Geburtstag. Ich werde keine große Party feiern. Wenn wir aus Budapest zurückkommen - idealerweise mit dem Pokal - feiere ich am Abend im Kreis meiner Familie. So habe ich das auch zum 60. gemacht. Da bin ich mit der ganzen Familie nach Italien geflogen. Wir haben dort ein schönes verlängertes Wochenende verbracht. Das war wunderbar. Die Familie ist meiner Frau und mir heilig und sehr wichtig.
In einem Jahr, mit dann 66 Jahren, wollen Sie als Bayern-Chef abtreten. Was steht auf Ihrer Agenda für die letzten 15 Monate?
Rummenigge: Insbesondere drei Dinge. Erstens, dass wir sportlich in der Spur bleiben. Das sind wir seit acht Jahren. Mit dem Triple haben wir gerade etwas Außerordentliches erreicht. Jetzt gilt es, diesen großen Erfolg so zu konservieren, damit es auch im Jahr 2021 wieder etwas zu feiern gibt. Das zweite große Ziel betrifft Corona und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie: Auch der FC Bayern München steht vor einem finanziell herausfordernden Jahr. Diese Situation müssen wir managen, um wie in der zurückliegenden Saison finanziell mit einem blauen Auge davonzukommen.
Blaues Auge heißt?
Rummenigge: Wir haben durch die Spiele ohne Zuschauer im Ticketing, im Sponsoring und im Bereich Merchandising Mindereinnahmen im zweistelligen Millionenbereich gehabt. Das gilt analog für alle Profivereine. Borussia Dortmund hat etwa ein Minus von 43 Millionen Euro vermeldet. Aber noch größer als in der zurückliegenden Spielzeit werden die Schmerzen für den gesamten Fußball in Europa in der kommenden Saison, egal ob die Vereine nun Bayern München, Real Madrid, Mainz 05 oder Eintracht Frankfurt heißen. Es wird alle finanziell hart treffen.
Und wie lautet der dritte wichtige Punkt auf der Agenda?
Rummenigge: Ein großes persönliches Anliegen ist mir das weitere Einarbeiten von Oliver Kahn. Wenn ich Ende 2021 den Staffelstab an ihn übergebe, muss das nahtlos geschehen. Es ist wichtig, dass er seine Ideen mit meinen Erfahrungen, die ich dann 20 Jahre als Vorstandsvorsitzender sammeln durfte, verquickt, und er dann so fit ist, dass Bayern München weiter so erfolgreich in der Spur bleibt, wie ich das glücklicherweise in meiner ganzen Ära erleben durfte.
Könnte gerade wegen der Corona-Krise für Sie eine Situation eintreten, in der Sie Ihre Rückzugspläne überdenken oder aufschieben würden?
Rummenigge: Nein! Wenn die Sonne scheint, ist mein Job angenehm, sympathisch und macht Spaß. Managementqualitäten muss man dann zeigen, wenn Krisen kommen. Wir sind hier im Vorstand ein eingespieltes Team, packen gemeinsam an und werden auch in dieser Saison hoffentlich mit einem blauen Auge aus der Corona-Krise herauskommen.
Also bleibt der 31. Dezember 2021 die Deadline?
Rummenigge: Ja. Es gibt kein anderes Szenarium, das ich im Hinterkopf habe, übrigens auch nicht, um meine Tätigkeit vorher zu beenden.
Ein FC Bayern ohne Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge schien noch vor kurzem kaum vorstellbar. Hoeneß hat sich vor zehn Monaten aus der ersten Reihe zurückgezogen. Sie machen das demnächst. Könnte die Zäsur doch erstaunlich geräuschlos erfolgen?
Rummenigge: Es muss doch das Ziel eines Clubs wie Bayern München sein, dass auch das, was nachfolgt, von der Qualität her hoch angesiedelt ist. Ich denke, das Duo Herbert Hainer als Präsident und Nachfolger von Uli Hoeneß und Oliver Kahn als mein Nachfolger, wird die Fahne Bayern München weiterhin im positiven Sinne hochhalten. Da habe ich überhaupt keine Sorgen. Außerdem gehöre ich nicht zu den Menschen, die sich für unersetzlich halten.
Können Sie wirklich so einfach loslassen?
Rummenigge: Dazu erzähle ich Ihnen folgende Geschichte: Ich habe hier 1977 miterlebt, wie Franz Beckenbauer den Club Richtung New York verlassen hat. Alle dachten, das war es jetzt mit Bayern München. Es gab auch einige Monate lang Irritationen, aber danach ging es doch weiter. Was sagt uns das? Wenn Bayern München einen Franz Beckenbauer ersetzen kann, kann dieser Club alles. Ich habe vor ein paar Jahren auch in der europäischen Club-Vereinigung ECA den Vorsitz niedergelegt. Auch da habe ich gemerkt, dass man nach zehn Jahren mal loslassen und einem Jüngeren das Vertrauen geben muss.
Aber ist das mit dem Aufhören beim FC Bayern vergleichbar?
Rummenigge: Natürlich sind die Emotionen bei Bayern München größer. Ich bin hier praktisch seit meinem 18. Lebensjahr. 1991 kam ich als Vizepräsident zurück in den Club. Und wenn ich aufhöre, war ich 20 Jahre Vorstandsvorsitzender. Was mir abgehen wird, ist die innere Nervosität im Stadion bei den Spielen. Ich wusste immer, gewinnen wir, haben wir ein tolles Wochenende. Verlieren wir, wird es unruhig. Dann muss im nächsten Spiel alles mit dem Trainer und der Mannschaft neu gerichtet werden. Aber es ist Teil des Lebens, dass man irgendwann loslassen muss und den Nachfolgern Vertrauen schenkt.
Wie sehr erleichtert das aktuelle sportliche Hoch den Umbruch auf der Führungsebene? Und welchen Anteil hat damit Hansi Flick, der Baumeister des Triples 2020?
Rummenigge: Das Management muss die Voraussetzungen schaffen, dass man Erfolg haben kann. Und die Mannschaft muss mit dem Trainer versuchen, mit diesen Voraussetzungen einen erfolgreichen Fußball zu spielen. Als Hansi im November als Cheftrainer übernommen hat, war das ein Glücksfall für den FC Bayern. Es war ein Effekt, als wenn einer das Licht wieder angeschaltet hätte. Wie er das gemacht hat, ist à la bonheur. Wir können uns glücklich schätzen. Und Hansi ist ein super Typ.
Wie hat er den FC Bayern zur Nummer 1 in Europa gemacht?
Rummenigge: Hansi macht den Job, als wenn er ihn als Cheftrainer schon seit Jahrzehnten machen würde, mit seiner Erfahrung, seiner Taktik, der Trainingsführung und besonders seiner Empathie. Diese strahlt zum Glück nach innen und auch nach außen ab. Wir müssen ihn jetzt gut begleiten, um das aufrechtzuerhalten. Hansi ist es gelungen, die Spielkultur FC Bayern wieder einzuführen, die wir früher unter Pep Guardiola, Jupp Heynckes und auch Louis van Gaal genießen durften. Ich habe es noch nicht erlebt, dass wirklich alle Spieler so hinter einer Philosophie standen. Es ist eine große Leistung, dass Hansi den Charakter der Mannschaft nachhaltig positiv beeinflusst hat. Es gilt bei uns der alte Herberger-Satz: Einer für alle, alle für einen.