So, bin zurück aus dem Stadion von einem "heißen" Spiel. Wollen wir mal ein bisschen Sachlichkeit walten lassen, nachdem hier schon Wetten über Guardiolas Entlassungstermin abgeschlossen wurden:
Dortmund war 90 Minuten im Kopf voll da, Bayern 45.
Bei Bayern haben mit Ribéry, Neuer und Götze drei nicht zu ersetzende Weltklassespieler gefehlt (auch wenn Götze neu ist). Dazu kommen die Spieler Schweinsteiger, Martinez, Dante und Gustavo (von Badi gar nicht erst zu reden), die noch nach ihrer Form suchen. Auch Dortmund war nicht in Bestbesetzung, keine Frage, aber ich habe nicht erkennen können, dass wir an die Wand gespielt wurden oder sonst etwas. Dortmund war leicht besser, ja, aber auch wir hatten die hundertprozentigen Chancen, das Spiel auszugleichen oder zu wenden. Mal davon abgesehen, dass alle Tore auf individuelle Fehler zurückgehen und wenig mit der Taktik zu tun haben. Das 0:1 legen wir uns selbst rein, das 1:2 tatsächlich selbst, beim 1:3 hat Boateng scheinbar die Haltestelle übersehen und die Koordinaten falsch gelesen und beim 2:4 haben wir bereits aufgemacht, Thiago spielt einen Fehlpass und Dortmund trifft aus dem Abseits.
By the way: Reus ist noch nicht ganz aus der Pubertät raus. Seinen Torjubel hat er mit einer netten Geste in Richtung Bayernblock unterstrichen. Er hatte wohl mit Subotic einen guten Nachhilfelehrer.:)
Aber ich bin gar nicht sauer auf ihn, solche Duelle leben natürlich von Emotionen und er wird nicht mehr so oft gegen uns gewinnen.;-)
Es ist völlig richtig, dass wir hinten enorm löchrig und unsicher waren. Vor allem eklatant: Es gab von unserer Seite aus über weite Phasen des Spiels kein gutes Pressing und meistens liefen unsere Verteidiger nur nebenher und sind nicht richtig draufgegangen.
Eine Erklärung hätte ich parat: Ich weiß nicht, ob es jemand mitbekommen hat, aber es war leicht warm. Unser Aggregatzustand im Block hat sich bereits vor dem Spiel von fest zu flüssig geändert. Deshalb ist es auch zu erklären, warum sich die Mannschaft, die drei schwere Rückschläge der vergangenen Saison, die wir verursacht haben (was sie nie zugeben würden), rächen wollte und auch in den Zweikämpfen agiler verhielt, zumal der BVB zu Hause gespielt hat, auch wenn ich jetzt teilweise weiß, warum deren Südtribüne gelbe Wand heißt: Wände können nicht schreien.
Natürlich sollte man da fair sein, weil auch bei Dortmund die Hardcorefans gefehlt haben dürften, aber ich denke, dass wir in unserer Kurve ohne Schickeria mehr aus unseren Möglichkeiten gemacht haben als die Süd mit 27.000 Menschen. War teilweise genial, auch sehr viele situative Rufe und kein zehnminütiger Dauergesang. Natürlich nicht weltklasse, aber ohne feste Organisation schon beachtlich, auch der Oberrang hat mitgezogen. Beim 1:1 flog alles durch den Block, von Dortmund kam dann gegen Ende was, als alles entschieden war. Zumindest können die Borussen das besser, das weiß ich. Aber sicher ist unser Problem auch nicht die Stimmung bei Auswärtsspielen, die eigentlich die letzten Jahre im Verhältnis immer besser war als dahoam.
Es war der erste wirklich harte Test mit dem neuen System. Ich bin allgemein der Meinung, dass wir gegen stärkere Gegner weiterhin mit der Doppel 6 spielen sollten. Für die Bundesliga ist das 4-1-4-1 angebrachter. Es ist aber auch richtig, jetzt so viel mit diesem System zu spielen, da man es einstudieren muss. Es wird aber wahrscheinlich meistens so sein, dass Javi in die IV geht, Basti die 6 übernimmt und Thiago davor spielt. Ob Pep wirklich mit zwei Systemen in die Saison geht, bleibt abzuwarten. Ich fand heute nicht, dass wir unbedingt wegen des Systems verloren haben, sondern eher, weil die Aggressivität gefehlt hat, teilweise die Laufarbeit. Dazu war es in den letzten Jahren immer schwer, wenn wir gegen Dortmund in Rückstand geraten sind. Die Mannschaft zieht sich dann zurück und lauert auf Konter. Damit kamen wir nie zurecht. Letztes Jahr haben wir immer geführt, die einzige Ausnahme war das bedeutungslose Rückrundenspiel in Dortmund.
Der BVB geht durch einen dicken Patzer mit der ersten Chance in Führung, das ist natürlich ein suboptimaler Start, danach MÜSSEN wir das 1:1 machen und sicherlich hat auch Lewandowski eine hundertprozentige Chance vergeben. Dennoch: Auch das 1:2 fiel zum unglücklichsten Zeitpunkt und das 1:3 direkt darauf. Ein kollektiver Blackout. In der 2. Hälfte ist positiv zu bewerten, dass die Mannschaft zu jeder Zeit gekämpft hat. Einem Robben war zum wiederholten Male anzumerken, dass auf ihn in entscheidenden Momenten immer Verlass ist. Sein Wille in Halbzeit 2 war nicht zu übersehen. Auch Thiago hat trotz unnötiger Fehlpässe ein gutes Spiel gemacht. In der ersten Halbzeit hat er viel abgeräumt und eine Ballbeherrschung gezeigt, die wirklich klasse war. Er war der Dreh- und Angelpunkt des Spiels. Natürlich hat man aber auch gemerkt, dass einige Feinjustierungen gefehlt haben. Einen Ribéry kann man nicht einfach so ersetzen und ein Kroos hat das Spiel jetzt nicht unbedingt schnell gemacht. Ich versuche mich zu erinnern, ob mir irgendwas Überragendes bei Kroos hängen geblieben ist, aber auch er kann das besser. Ein Müller kam überhaupt nicht mit dem schnellen Kurzpassspiel zurecht, das ist auch nicht sein Spiel. Ich denke aber, dass jeder seine Position finden wird. Und was mir auch aufgefallen ist: Rückpässe auf Starke waren, obwohl er später gut gehalten hat, ein Sicherheitsrisiko. Entweder, ihm wurde auf den falschen Fuß gespielt oder er wollte in aller Ruhe passen, das war teilweise ziemlich unsicher, da hat man mal gesehen, wie wichtig auch ein Manuel Neuer unabhängig seiner Reflexe für uns sein kann. Notiz am Rande: Nach der Pause hat sich das gebessert. Irgendjemand, vielleicht ja unser "Klinsmann auf der Bank", hat da möglicherweise was angesprochen.
Ich laufe nach Niederlagen eigentlich eine Woche mit angekniffenem Gesicht durch die Gegend, aber ich bin jetzt nicht unglücklich aus dem Stadion gelaufen, weil ich weiß, dass es eben "nur" der Supercup war und all unsere Fehler (oder viele, Perfektion gibt es ja nicht) mit der nötigen Zeit zu beheben sind. Jetzt alles direkt in Frage zu stellen, ist inakzeptabel. Bei Bayern ändert sich einiges, schön und gut. Aber doch nicht alles. Spielt Pep jetzt ohne Torwart? Ui, er nimmt einen Sechser weg, jetzt werden wir alle sterben! Ein bisschen Vertrauen sollte man in diesen ausgewiesenen Fachmann schon setzen...
An alle, die davon überzeugt sind, dass man ein funktionierendes System nicht ändern soll: Seit Jahrzehnten haben Mannschaften genau dies versucht und nie ist es einer gelungen, derartige Riesenerfolge wie den Gewinn der Champions-League im Folgejahr zu wiederholen. Das erwarte ich von uns so oder so auch nicht. Mit der Meisterschaft kann wohl jeder Bayern-Fan gut leben. Es ist aber wichtig, dass man sich immer weiterentwickelt. Kleine Rückschläge kommen da folgerichtig, kann man aber in Kauf nehmen. Das ist mir immer noch lieber als ein Totalkollaps des Systems, was wir leider auch 2011 unter Louis erlebt haben. Übrigens auch nach einer sehr erfolgreichen Saison. Dieses Jahr habe ich erstmals keine Angst, dass die Mannschaft nicht mehr hundertprozentig auf der Höhe sein könnte, weil ein Konkurrenzkampf vorhanden ist, der seinesgleichen sucht. Das, was wir heute gesehen haben, war noch bei Weitem nicht das, was wir wahrscheinlich in drei Monaten sehen werden. Schon deshalb, weil noch einige wichtige Akteure eingebaut werden müssen. Bei Van Gaal hat man fast ein halbes Jahr warten müssen, bis auf einmal der Knoten geplatzt ist, ich glaube, dass das unter Pep schneller passieren wird. Wer aber auch nur ansatzweise glaubt, man müsse eine Traumsaison wie die letztjährige direkt toppen oder zumindest bestätigen, dem fehlt es an Realismus. Es ist nicht unmöglich, aber kann nur gelingen, wenn alles zusammen passt. Auch Jupp hat das Triple nicht in drei Tagen erreicht. Was viele vielleicht vergessen haben: Es hat schon Bayern-Trainer gegeben, die wären in Phasen seiner ersten Saison geflogen. Ich erinnere an eine großartige Saison 2007/2008, die mit einem Fast-K.O. in Burghausen begonnen hat. Beispiele gibt es viele. Die Menschheit wäre in der Geschichte nicht weitergekommen, wenn sie immer alles so gelassen und verwaltet hätte. Aber vielleicht scheint der derzeitige politische Trend in der Bevölkerung doch besser anzukommen als ich dachte. Ich bin der Meinung, dass Guardiola als akribischer Arbeiter genügend Intelligenz besitzt, dem FC Bayern eine erfolgreiche spielerische Linie zu verpassen. Zumindest schafft er das eher als wir alle hier.
Abwarten und Tee trinken. Nach 10 Spielen werden wir eine erste Bilanz ziehen können, aber nicht nach einem gefühlten Testspiel, wobei dann alles vorherig Gute direkt wieder ausgeklammert wird.
Zum Beispiel kann man schon teilweise Peps Ideen gut umgesetzt sehen, es ist ja nicht alles schlecht. Oder haben wir letztes Jahr so viele Chancen durch hohe Bälle in die Schnittstellen kreiert? Hat man einen derartig starken Austausch zwischen Trainer und allen Spielern gesehen, selbst wenn es gut lief (Beispiel Robben, der scheinbar Kritik doch vertragen kann, wenn man mit ihm offen redet, wie auch heute wieder)? Ich denke nicht. Wir haben heute viele Dinge beobachten können, aus denen man lernen kann, aber auch welche, die Mut machen. Die Mannschaft ist charakterlich und qualitativ völlig intakt, ich habe mir schon mal mehr Sorgen gemacht.
Niederlagen gegen Dortmund sind immer ärgerlich, aber wir haben noch genug Chancen, auch dieses Jahr gegen Dortmund wieder unvergessliche Tage zu erleben. Das gelingt aber nur, wenn wir den Beteiligen Zeit geben und an einem Strang ziehen. Dazu zählen auch wir und das ist keine Aufforderung zum kollektiven Schönreden!
Für die neutralen Zuschauer war es sicherlich ein unterhaltsames Match, eine teilweise gute Werbung für die Bundesliga. Jeder Sieg der Dortmunder wird unseren Spielern klarmachen, dass man mit ihnen einen ernstzunehmenden Gegner hat, aber ihnen wird es gleichzeitig schwerer fallen, sich kleinzureden.