Ich bin sehr gespannt auf das, was uns erwartet.
Auch wenn ich Kovac nicht für die optimale Lösung halte, bin ich weit davon entfernt, ihn zu verteufeln und habe eine gewisse Hoffnung, dass seine positiven Aspekte die Risiken aufwiegen, die natürlich bei dieser Verpflichtung gegeben sind.
Zunächst sollten wir bei der Bewertung von Kovac die ganzen Umstände seiner Verpflichtung und der Trainersuche möglichst außen vor lassen. Da ist scheinbar einiges schief gelaufen und wir haben uns völlig unnötig in eine komplizierte Situation gebracht. An der kann aber Kovac nichts. Für ihn ist das hier eine riesige, vielleicht einmalige Chance und ich denke uns hoffe, dass er clever genug ist, das zu erkennen und sich entsprechend darauf einzustellen.
Was darf man erwarten?
In positiver Hinsicht kann man mE einen taktisch flexiblen Trainer erwarten. Seine Sätze bei der kroatischen Nationalmannschaft waren seltsam und nicht zeitgemäß. Sie mögen aber auch einer gewissen medialen Erwartung geschuldet gewesen sein. Ein Trainer, der wenig Wert auf Taktik legt, hat nicht solche Erfolge wie Kovac in den letzten beiden Jahren mit der Eintracht. Ob es dann die richtige Taktik für uns ist, ist eine andere Frage. Aber dazu später noch mehr.
Ich halte ihn tatsächlich für flexibel. Auch wenn der globale, strategische Ansatz oft ähnlich war, hat er sich doch mit seinem Team oft dem Gegner angepasst und individuelle Lösungen gefunden. Er hat immer mal wieder zwischen 3er(5er) und 4er Kette gewechselt, unterschiedliche Offensivmuster spielen lassen und unterschiedliche Pressingvarianten gezeigt.
Er ist ein Trainer, der sich mit Fachleuten umgibt und nicht davor scheut, sich externen Rat zu holen und sich dadurch inspirieren zu lassen - etwas, was im modernen Fußball mE unabdingbar ist, auch um verkrustete Strukturen etwas aufzubrechen. Beispiele habe ich im "neues Trainerteam thread" vor einigen Tagen genannt, Stichworte neuer Co-Trainer, Physio von Gladbach etc.
Er bindet junge Spieler ein (siehe etwa Vallejo letztes oder Luka Jovic und Marius Wolf dieses Jahr), kann aber auch mit älteren, erfahrenen Spielern umgehen und denen einen unverhofften 2. Oder 3. Frühling bescheren, nachdem diese abgeschrieben waren und die plötzlich besser spielen als wahrscheinlich je zuvor (Chandler, Hasebe) oder sich zumindest wieder auf ihr altes Niveau einfinden (Boateng, Rebic).
Er beherrscht die Sprache ohne Probleme. Das ist zwar heutzutage nicht zwingend für einen Trainer eines Topvereins, aber unfraglich hilfreich.
Die Risiken sind natürlich die Frage der Flexibilität hinsichtlich seiner Strategie, seiner Spielphilosophie. Die mangelnde Erfahrung mit Europapokalspielen und mit absoluten Starspielern. Die Risiken sollte man nicht außer Acht lassen. Aber je nachdem, wie flexibel sich Kovac gibt, kann er diese durchaus bewältigen.
Spielphilosophie:
Natürlich passt das nicht zu uns, was er momentan in Frankfurt spielen lässt. Aber erstens hat er da völlig andere Spieler und zweitens wird er hoffentlich sehr schnell erkennen, dass er hier anders spielen lassen muss. Alle die hier so sehr auf Tuchel gehofft haben, sollten sich nochmal in Ruhe anschauen, was der in Mainz spielen ließ... Das war auch strategisch IdR Umschaltfußball. Flexibel in der Ausgestaltung, aber das auch hauptsächlich, weil er enorm häufig den Gegner gespiegelt hat, was aber ähnlich wie bei Kovacs Eintracht zu enorm vielen direkten Zweikämpfen und 1gg1 Situationen im Mittelfeld führt. Das Ballbesitz- und Positionsspiel, das viele an seinen Dortmunder Jahren schätzen, hat er sich doch auch tatsächlich erst dort so richtig drauf gepackt. Vorher hat er auch so gut wie nie so spielen lassen.
Mangelnde Europapokalerfahrung:
Wahrscheinlich das größte Risiko. Aber da hoffe ich einfach darauf, dass er sich nicht davor scheut, sich mit Leuten zu umgeben, die ihn da vernünftig beraten können. Ich weiß nicht, ob Peter Hermann bleibt. Es wäre mE enorm wichtig. Aber es sollte auch andere geben, die ihn da vernünftig beraten. Und wie oben schon beschrieben, Kovac ist jemand, der bereit ist, sich von Fachleuten beraten zu lassen. Ähnliches gilt für die Belastungssteuerung aus medizinischer Sicht. Wir haben da erfahrene Leute.
Der Umgang mit Stars:
Natürlich wichtig. Insbesondere Ribery, Robben, Lewandowski sind Charaktere, die man richtig anfassen muss. Aber wir haben ja gerade erst über ein Jahr lang erlebt, wie selbst ein vermeintlich sehr erfahrener Spielerflüsterer dabei scheitern kann, weil er nicht (mehr) die Sprache und Erwartungshaltung der heutigen Generation trifft. Vielleicht ist gerade einer wie Kovac da besser: jung, aber nicht zu jung. Selbst Spieler gewesen, international und Nationalspieler. Ein paar Trainerstationen schon gehabt und dabei selbst schwierige Leute wie Boateng und Rebic überzeugt.
Ein Nagelsmann mag hinsichtlich des Spielstils - möglicherweise - besser passen. Die anderen Risiken wären doch aber bei ihm genau die gleichen - und der hatte als Spieler weniger erreicht und auch als Trainer bisher noch nicht mit ganz schwierigen Charakteren zu tun, in Hoffenheim zudem ein ruhigeres Umfeld als Frankfurt - und Medienarbeit ist ja heutzutage durchaus ein wichtiges Thema. Das soll nicht heißen, dass Nagelsmann nicht gepasst hätte. Es soll nur verdeutlichen, dass es auch bei dem einige Risiken gegeben hätte.
Und mal ernsthaft, was passiert denn, wenn es total in die Hose geht? Man wird für 2019 ne richtig große Lösung präsentieren. Die wichtigen Spieler vergrault man damit nicht. Das haben wir ja jetzt in 1 1/2 Jahren mit Ancelotti gesehen.
Lange Rede, kurzer Sinn: lasst uns Kovac eine faire Chance geben. Er kann nichts für das Drumherum, das letztlich zu seiner Verpflichtung geführt hat und die zweifellos gegebenen Risiken wären so oder so ähnlich auch bei den meisten anderen, jetzt noch realistischen Lösungen zum Tragen gekommen.
Betrachtet man die Jahre von Kovac bei der Eintracht, gibt es durchaus Anlass zur Hoffnung, dass er ein Typ ist, der im Gesamtpaket passen könnte.