Da sich die Saison (zum Glück) dem Ende nähert, würde ich mal meine Eindrücke zu Nagelsmann, Brazzo und Kahn teilen.
Nagelsmann:
Insgesamt natürlich eine sehr dürftige Debütsaison, der Fußball hat in der Rückrunde leider sehr an düsterste Kovaczeiten erinnert. Dennoch bin ich, was Nagelsmann anbelangt, nach wie vor optimistisch, denn aufgrund seiner letzten PKs und seinen letzten Stationen spricht aus meiner Sicht viel dafür, dass er die richtigen Schlüsse ziehen wird und die kommende Saison anders läuft.
Was mir besonders Bauchschmerzen bereitet hat diese Saison war das Thema Spielkontrolle (im Übrigen hat mich die fehlende Kontrolle in Phasen des Spiels schon in der Triple-Saison unter Flick gestört, aufgrund der Titel steht sowas dann natürlich aber nicht im Fokus der Medienberichterstattung). Ich hatte letztens schonmal in einem Beitrag angemerkt, dass ich den Tenor hier im Forum aber nicht teile, dass Nagelsmann klassischen RB-Fußball spielen lassen wolle, denn Leipzig hat unter ihm gerade in Sachen Ballbesitz enorme (!) Fortschritte gemacht. Aus diesem Grund hat Rangnick ihn auch nach Leipzig geholt und Nagelsmann meinte zu Leipziger Zeiten immer, Ballbesitz sei insbesondere in Phasen der Dreifachbelastung wichtig, um sich während des Spiels erholen zu können.
Da Nagelsmann auf der letzten PK meinte, jetzt wieder mehr coachen und wieder nerviger sein zu wollen, gehe ich davon aus, dass er der Mannschaft wieder ein engeres taktisches Korsett umlegen wollen wird (und das wilde Spiel ein Problem des fehlenden Coachings und nicht etwa Nagelsmanns Handschrift war). Natürlich wäre es besser gewesen, schon diese Saison akribischer zu arbeiten und es lässt sich nur spekulieren, warum es dazu nicht kam. Vielleicht lag es tatsächlich daran, dass er angesichts seines Alters und fehlender Titel nicht direkt wie ein Guardiola auftreten wollte in der Sorge, so nicht von der Mannschaft akzeptiert zu werden. Wenn man sich den Fußball angesehen hat in dieser Saison, dann muss man zum Schluss kommen, dass die längere Leine gar nicht funktioniert hat und das ist denke ich der Hauptfehler Nagelsmanns in dieser Saison. Was mich aber optimistisch stimmt: Nagelsmann hat bereits nachgewiesen, attraktiven Ballbesitzfußball mit RB-Elementen verbinden zu können und das unterscheidet ihn deutlich von Trainern wir Kovac und Ancelotti, sodass ich optimistisch bleibe.
Extrem positiv fand ich hingegen die Außendarstellung des Vereins durch Nagelsmann. Er wirkte fast immer sehr locker, ist um ein gutes Verhältnis zu den Medien sichtlich bemüht (sonst wäre denke ich die Kritik an ihm auch deutlich heftiger ausgefallen) und als Fan macht es einfach Spaß, ihm zuzuhören, da er wirklich seine Meinung vermitteln will und nicht wie viele andere Trainer gar nichts offenlegt. Dass er sich das ein oder andere Mal ungeschickt verhält (Kritik an Nianzou usw.), sehe ich ihm vor diesem Hintergrund nach.
Insgesamt gehe ich hinsichtlich Nagelsmann trotz einer schwachen Saisonleistung des Trainers zuversichtlich in die Sommerpause.
Brazzo:
Nicht so zuversichtlich bin ich hingegen bei Brazzo, dennoch bin ich dagegen, sämtliche Fehlentwicklungen auf ihn zu schieben. Ich habe den Eindruck, er muss aktuell als Projektionsfläche sämtlicher Probleme herhalten, ganz so einfach ist es aber nicht.
Gerade die aktuellen Berichte, an welchen Spielern Bayern last minute noch gebaggert haben soll, würde ich stark anzweifeln. Solche Berichte sorgen für viele Klicks und hier vermute ich die Intention der Bild (da läuft aktuell eine richtige Kampagne gegen Brazzo habe ich den Eindruck), aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das wahr ist. Wäre Brazzo dermaßen unfähig, wäre er garantiert bereits entlässen worden. Nachweisen kann ich das natürlich nicht, die Bild ist allerdings nicht dafür bekannt, immer fair zu berichten.
Auch dass Brazzo an Haaland dran war, wird man ihm wohl kaum vorwerfen können. Im Gegenteil hätte man ihm vorwerfen müssen, wenn er nicht geschaut hätte, ob ein Wechsel möglich ist. Dass das Thema medial dann breitgetreten wurde, ist in Bezug auf Lewy unglücklich, lässt sich bei einem Verein der Größe des FC Bayern aber wohl kaum vermeiden. Da ist das mediale Interesse viel zu groß als dass man solche Themen geheim halten könnte.
Schwach ist natürlich die Außendarstellung unter Brazzo. Auch dass die Toptransfers, die unter seiner Verantwortung getätigt wurden, nicht eingeschlagen sind, muss man ihm vorwerfen. Wirklich stark waren lediglich die Transfers von Musiala und Davies, ansonsten ist da extrem viel Luft nach oben und das sorgt dafür, dass die Substanz des Kaders wahnsinnig abgenommen hat. Dieser Kritik muss er sich stellen, auch wenn er nicht allein für Transfers verantwortlich ist (auch hier wird für mein Empfinden häufig zu wenig differenziert).
Vor allem auch coronabedingt war es aber auch einfach sauschwer, den Kader zu verstärken, so ehrlich muss man sein. Bayern beklagt einen Umsatzverlust von €100-150 Mio, gleichzeitig steigen die Spielergehälter und Investorenclubs zahlen nach wie vor völlig irre Ablösesummen. Den Kader in dieser Situation auf dem gleich Niveau halten zu können geschweige denn das Niveau zu erhöhen, ist kaum möglich.
Auch die Vertragsverlängerungen sind bei zurückgehendem Umsatz und gleichzeitig immer höheren Spielerforderungen richtig schwierig zu bewältigen; selbst Liverpool hat die Situationen um Mané und Salah noch nicht lösen können. Das würde ich Brazzo nur bedingt vorwerfen.
Kurzum: Dass viele Transfers nicht eingeschlagen sind und einige Vertragsverlängerungen nicht geglückt sind, werfe ich insbesondere Brazzo (und auch den anderen Bossen) vor, dennoch war die Situation komplex. Ich wünsche mir trotzdem, dass man auch mal wieder mit einem Spieler verlängert, weil er bei Bayern bleiben will und ihn das einfach reizt und man so die ein oder andere Million weniger durch einen guten Karriereplan wettmachen kann.
Werbung für eine Vertragsverlängerung hat Brazzo auf jeden Fall nicht gemacht und deshalb hoffe ich, dass sich die Wege spätestens 2023 trennen; unabhängig davon, wie dieses Transferfenster läuft, denn die letzten Jahre sind in Summe aussagekräftiger als eine einzige Transferperiode.
Kahn: Leider war er extrem blass, das hat mich überrascht, denn als TV-Experte war er immer sehr schlagfertig. Er wirkt jetzt für mein Empfinden erstaunlich kühl und nicht mehr so wie der frühere Kahn. Dass er sich als Vorstandsvorsitzender etwas mehr zurücknimmt, ist schon richtig, etwas mehr Präsenz wäre aber schon wünschenswert. Das hat Kahn aber bereits selbst eingeräumt, da Präsenz „Identität stifte“. Das klingt grundsätzlich gut, das gilt es in der nächsten Saison dann umzusetzen.
Wie Kahns Arbeit sonst zu bewerten ist? Keine Ahnung ehrlichgesagt, das finde ich für einen Außenstehenden Stand jetzt kaum zu beurteilen.
In jedem Fall wird der Sommer so wichtig und spannend wie seit Jahren nicht mehr. Jetzt und in der nöchsten Saison müssen die Verantwortlichen liefern.