Du musst verrückt sein“
Basketball-Trainer Andrea Trinchieri über sein Date mit den Bayern, die Energie seiner Socken und die Kunst der richtigen Ansprache.
Von Christopher Meltzer
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Die Psychologie des Andrea Trinchieri: „Die ersten 50 Tage beobachte ich meine Spieler. Ich fordere sie heraus, provoziere sie, gebe ihnen Aufgaben und schaue, wie sie reagieren“.
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Herr Trinchieri, an diesem Wochenende fängt die Saison im deutschen Basketball mit dem BBL-Pokal an. Am Sonntagabend spielen Sie mit dem FC Bayern München, Ihrem neuen Verein, gegen Bayreuth. Wissen Sie schon, welche Socken Sie anziehen werden?Nein, es kommt darauf an, was noch passiert. Ich habe sehr mächtige Socken, aber auch Socken, die so lala sind. In manchen Socken steckt keine gute Energie. Sie ziehe ich nach einem Spiel nicht mehr an.
Das gilt auch für Ihre Brillen. Sie sagten einmal, dass Sie 70 verschiedene haben. Manche überstehen das erste Spiel nicht. Diese Rituale sind Ihnen wichtig. Warum?Das sind Psychospielchen. Ich sammle so meine Konzentration. Manchmal fehlt mir die Energie, vielleicht bin ich müde von einer langen Reise, dann gibt es diese Rituale, die mich zurück in den Game-Mode bringen. Das mag sich lustig anhören, aber es funktioniert.
Offensichtlich. In den vergangenen zehn Jahren haben Sie vier Vereine trainiert: Cantù, Kazan, Bamberg, Partizan Belgrad. Sie haben mit jedem Verein Titel gewonnen. Verraten Sie uns Ihr Geheimnis? Nur die Socken können es nicht gewesen sein.Du musst verrückt sein. Ich vergleiche mich manchmal mit einem alten Mann an der Nordsee, der mit einem Kopfhörer und einem Detektor am Strand läuft und Metall sucht. So geht es mir mit Titeln. Wenn du probieren durftest, wie süß sie schmecken, wirst du süchtig. Ich bin süchtig. Ich kann mir meinen Job nicht mehr vorstellen, ohne von einem Titel zu träumen. Das wird zu einem Lifestyle. Das beschränkt mich aber auch – und macht es mir schwer.
Ihre Mannschaften hatten verschiedene Spieler, verschiedene Stärken. Was hatten sie gemeinsam?Die Spieler haben sich auf mich eingelassen. Sie haben verstanden, dass ich sehr fordernd bin, aber dass ich ihnen auch etwas zurückgeben kann. Sie haben gesagt: Okay, lasst uns diesem verrückten Trainer folgen, der manchmal auf uns springen und uns am liebsten umbringen möchte. Weil sie wussten: Am Ende werden wir besser sein.
Der berühmte amerikanische Point Guard Isaiah Thomas sagte einmal: „Das Geheimnis des Basketballs ist, dass es nicht um Basketball geht.“ Ist da etwas dran?Ja, es ist wahr: Es dreht sich alles um Basketball, aber nicht alles dreht sich um Basketball. Wir sind hier, weil wir Basketball spielen. Das bringt uns zusammen. Aber wie wir Basketball spielen, das entscheidet jedes Team für sich. Ein Team, in dem die Egos an erster Stelle stehen, wird nie erfolgreich sein. Es muss klar sein, wer zahlt und wer trinkt. Das ist ein serbisches Sprichwort. Du musst wissen, was deine Rolle ist. Vor jeder Saison frage ich meine Spieler: Wisst ihr, was die Rolle eines Spielers in einem Team ist? Neun von zehn sagen: Ja, die Rolle legt fest, was ich zu tun habe. Das ist ein großes Missverständnis. Die Rolle eines Spielers ist, was die anderen von ihm erwarten. Wenn ein Spieler glaubt, er muss 20 Dreier werfen, die anderen aber denken, er muss 20 Blöcke stellen, dann haben wir ein Problem.
In einem Team, so haben Sie es neulich ausgedrückt, muss jedes Mitglied ein Star in seiner Rolle sein. Auch der Mann, der in den Auszeiten das Wasser bringt.So ist es, aber in Deutschland ist das nicht so einfach. Deutschland ist ein tolles Land, die Disziplin, der Respekt vor dem Gesetz, alles in Ordnung. Das zehrt aber an der Leidenschaft. Du musst immer mehr wollen, um ein Star zu sein, auch als Wasserträger. In Deutschland fehlt es aber an nichts. Man gibt sich mit gut zufrieden. Selten wird gesagt, dass gut nicht gut genug ist.
Sie sagen über sich, dass Sie sich mehr über Niederlagen ärgern als über Siege freuen können.Ja und ich finde das eigentlich nicht gut. Ich kann’s aber nicht ändern.
Vielleicht macht das den Unterschied. Vielleicht treibt das Sie an.Wenn Sie in einer schlechten Sache eine gute finden wollen, dann vielleicht. Aber für mich ist das anstrengend. Ich sage meinen Spielern immer: Sie müssen mit einem Ziel in die Halle kommen. Ein Ziel von mir ist: mehr zu genießen.
Ihre Leidenschaft überzeugte Herbert Hainer, den Präsidenten des FC Bayern. Er erzählte von dem Funkeln, das er in Ihren Augen sah. Er wollte Ihnen einen Vertrag anbieten, der mehrere Jahre gilt. Sie unterschrieben nur für ein Jahr. Warum?Wenn man jemanden heiraten will, sollte man ihn davor daten.
Wie lief das erste Date?Ich habe die Leute im Verein gefragt, was sie wollen und wie sie es wollen.
Und was wollen sie?Beim FC Bayern willst du immer gewinnen, das ist klar. Wir haben vor allem aber über Grundwerte gesprochen, über eine Arbeits- und eine Spielphilosophie. Wir wollen die Fanbasis vergrößern. In München gibt es große Möglichkeiten. Um das zu schaffen, müssen wir aber etwas Besonderes schaffen. Ich kann das Ergebnis nicht garantieren, den Einsatz aber schon. Wenn die Zuschauer unseren Schweiß und unsere Opferbereitschaft sehen, dann bin ich davon überzeugt, dass sie uns lieben werden.
Im Jahr 2022 soll die neue Halle fertig sein. Dort sollen fast 12 000 Menschen reinpassen. Es wird nicht leicht, sie zu füllen.Also müssen wir jetzt den Weg ebnen. Das ist mein Plan. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, aber einen Plan habe ich.
Wollen Sie in die Play-offs der Euroleague, des besten Vereinswettbewerbs in Europa? Das schafften bisher weder Sie noch die Bayern.Wollen Sie heute Abend mit einer wundervollen Frau essen gehen?
Ja.Na also.